- Lemvres
LEMVRES, um, hießen in der ältesten lateinischen Sprache die abgeschiedenen Seelen des Menschen, wenn sie von den Banden des Leibes frey geworden waren. Diejenigen darunter, welche die Sorge und den Schutz für ihre Nachkommen erhielten, und ruhig und friedlich in dem Hause wohneten, hießen Laren; die andern aber, welche keine gewisse Wohnung hatten, sondern zur Strafe für ihr böses Leben unstät und gleichsam im Elende herum schwärmeten und wackern Leuten ein leeres Schrecken einjageten, wurden Larven genannt. Apulej. de Deo Socrat. p. 688. Sie waren also mit den Manen einerley, nur daß diese gleich mit der Empfängniß des Menschen bey seinem Leibe waren. Mart. Capell. l. II. p. 46. Mit der Zeit aber wurde der Namen Lemuren nur allein den Larven oder Poltergeistern und Schreckbildern eigen: Non. Marcel. c. II. §. 513. Man nannte sie daher nur die nächtlichen; Hor. Ep. II. 2, 209. oder die schwarzen. Pers. Sat. V. 185. Ihr Fest, welches Lemuria hieß, wurde auch nur bey Nacht gefeyret. Man begieng es vom 9 bis zum 13 May in dreyen Nächten, so daß allezeit eine dazwischen ausgesetzt blieb. Diese Feyer war hauptsächlich zur Besänftigung derjenigen Vorfahren angestellet, welche im Hause Unruhe macheten, weil man glaubete, ihre Erscheinung oder ihr erregtes Getöse bedeute, es werde jemand aus demselben sterben. Die Cärimonie fieng sich um Mitternacht an, und der Hausvater stund alsdenn, wenn alle schliefen, auf, und gieng barfuß, ohne ein Geräusch zu machen, stillschweigend zu einem Brunnen. Nur mit den Fingern schlug er ein Schnippchen, damit ihm kein Schatten in den Weg kommen sollte. An dem Brunnen wusch er sich dreymal die Hände, gieng wieder zurück, nahm schwarze Bohnen in den Mund, und warf solche, ohne sich umzusehen, neunmal mit diesen Worten hinter sich: Mit diesen Bohnen erkaufe ich mich und die Meinigen. Man glaubete, die Schatten giengen hinterher, und läsen die Bohnen auf, ohne daß es jemand sähe. Hierauf wusch sich der Hausvater wiederum, schlug darnach auf ein ehernes Becken, und bath die Schatten, sein Haus zu verlassen, wobey er neunmal sagete: Weichet, ihr väterlichen Manen. Nach diesem sah er sich um, und die Feyer war vollbracht. Ovid. Fast. V. 421. sqq An diesen Tagen waren die Tempel geschlossen, und man hielt es nicht für gut, darinnen Hochzeit zu machen; daher das Sprichwort gekommen, im May sey nicht gut freyen. Ib. 485. Alex. ab Alex. dies gen. l. III. c. 12. Romulus soll diesen Dienst zuerst zur Befriedigung seines Bruders Remus eingeführet haben, dessen blutiger Schatten dem Faustulus und der Acca Laurentia erschienen wäre. Sie sollen daher anfänglich auch Remurien und durch eine gelindere Aussprache mit der Zeit nur erst Lemurien seyn genannt worden. Ovid. l. c. 479. Porphyr. in Hor. Ep. II. 2, 209. Allein, da man bey keinem Geschichtschreiber etwas davon findet, so hält man es bloß für ein Spiel des poetischen Witzes. Schlegel beym Banier I B. 682 N. Cf. Dissert. sur les Lemures par M. Simon dans Mem. de l'Acad. des I. & B. L. T. I. p. 33.
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